„Ist das Wild an Allem schuld?“

Auftaktveranstaltung der Regionalgruppe „Baar – Obere Donau – Bodensee“ des Ökologischen Jagdvereins Baden Württemberg.

Etwa 90 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer aus Politik, Verwaltung, Landwirtschaft und Jagd trafen sich am 20.04.2013 auf dem Hochschulcampus in Tuttlingen zur Auftaktveranstaltung der neu gegründeten Regionalgruppe.

Ulrich Zepf, der Vorsitzende der Regionalgruppe, begrüßte die Anwesenden. Im Anschluss daran stellte Studiendekan Prof. Dr. Anders den Hochschulcampus Tuttlingen vor und erläuterte kurz das Hochschulmodell. Emil Buschle, Erster Bürgermeister der großen Kreisstadt Tuttlingen, gab in seinem Grußwort eine Einführung in die Jagdpolitik der Stadt. Er verwies zunächst auf die großen Auseinandersetzungen und Diskussionen zwischen der Stadt und der Kreisjägervereinigung, die durch die schädlichen Auswirkungen überhöhter Rehwildbestände ausgelöst worden sind. Vor diesem Hintergrund habe der Gemeinderat die „Jagdkonzeption 2013“ beschlossen, die aus der Einführung einer Regiejagd auf 50 Prozent der Stadtwaldfläche sowie der Erarbeitung eines waldfreundlichen Jagdpachtvertrages besteht.

Buschle stellte darüber hinaus fest, dass die auf großer Fläche immer noch nicht gelöste „Wald-Wild-Problematik“ in den letzten Jahren mehr und mehr von Problemen  mit überhöhten Schwarzwildbeständen überlagert werde. Als Beispiel führte er eine Wildschadensschätzung  in Höhe von etwa  7000 Euro im Grünland aus dem Frühjahr 2013  an. Bei den Gesprächen mit Vertretern der Kreisjägervereinigung und den Landwirten habe sich gezeigt, dass die Kenntnisse einzelner Jagdgenossen über die Rechte und Pflichten der Jagdgenossenschaften eher gering ausgeprägt seien und dass es zur Verbesserung des Verständnisses zwischen Landwirten und Jägern noch vieler weiterer Gespräche bedürfe. Er kam schließlich zu der Einschätzung, dass die bisherigen jagdlichen Aktivitäten nicht dazu geeignet gewesen seien, das Ansteigen der Schwarzwildpopulation zu verhindern, geschweige denn die überhöhten Bestände zu reduzieren.

Manch einer im Saal dürfte aufgehorcht haben, als der Redner daraufhin bekannt gab, dass er Kontakt zum Landrat aufgenommen und ihm vorgeschlagen habe, eine Art „Lenkungsausschuss“ zur Organisation und Durchführung großräumiger Bewegungsjagden zu installieren sowie den selektiven Frischlingsfang, nicht als jagdliche, sondern als seuchenprophylaktische Maßnahme in Erwägung zu ziehen. Abschließend wünschte Emil  Buschle der neu gegründeten Regionalgruppe einen guten Start, prognostizierte jedoch auch erhebliche Widerstände.

Helmut Groß, Bürgermeister der Stadt Tengen richtete ein weiteres Grußwort an die Anwesenden. Professor Rainer Wagelaar von der Fachhochschule Rottenburg stellte daraufhin als Moderator die beiden Referenten Dr. Oliver Keuling und Dr. Georg Meister vor und führte in die Thematik der Vorträge ein.

„Sauschlau-Neues aus der Schwarzwildforschung“

Dr. Oliver Keuling von der tierärztlichen Hochschule Hannover hielt den ersten Vortrag des Tages. Er trug den Titel: „Sauschlau – Neues aus der Schwarzwildforschung“. Die Schwerpunkte lagen dabei auf der Habitatsnutzung, Rottenzusammensetzung und Populationsdynamik. Die Ergebnisse seiner Forschungen sollen an dieser Stelle nicht im Detail erörtert werden. Mehrere Ausgaben der  „Ökojagd“ haben sich ausführlich mit den Inhalten der aktuellen Schwarzwildforschung auseinandergesetzt. Durchaus erwähnt werden sollen jedoch die Schlussfolgerungen, die im Blick auf eine effiziente Schwarzwildbejagung gezogen wurden. Die Tatsache, dass die Streifgebiete bejagter Wildschweinrotten sich durch Bewegungsjagden nicht wesentlich ändern und die Erkenntnis, dass gedrücktes Schwarzwild sich am Jagdtag gezielt  auf unbejagte Flächen  zurückzieht, um teilweise schon in der darauffolgenden Nacht wieder die gewohnten Einstände aufzusuchen, zeigen eindeutig, dass der Erfolg einer großangelegten Jagd wesentlich von der professionellen Organisation und Durchführung in allen beteiligten Revieren abhängt. Die Forderung von EBM Buschle, zu diesem Zwecke eine Lenkungsgruppe zu installieren, wurde dadurch wissenschaftlich untermauert. Ein für die ganze Jagdfläche verbindlich koordinierter Treiber-, Hunde- und Schützeneinsatz könnte die Effektivität der Bewegungsjagden, deren Potential derzeit nicht ausgeschöpft ist, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutlich steigern.

In der anschließenden Diskussion  meldete sich der stellvertretende Kreisjägermeister und Leiter des Hegerings Tuttlingen zu Wort und äußerte erhebliche Bedenken bezüglich des Frischlingfanges. Schon das Wildbret von auf Drückjagden erlegter Sauen sei im Hinblick auf die Fleischqualität schlecht zu vermarkten, wovon auch für die in der Falle getöteten Tiere aufgrund der Stresssituation und der damit verbundenen Adrenalinausschüttung  in erhöhtem Maße auszugehen sei.  An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass sich der damals noch amtierende Landesjägermeister Dr. Deuschle wenige Wochen zuvor, bei der Jahreshauptversammlung der Kreisjägervereinigung, aus Tierschutzgründen gegen den Saufang ausgesprochen hatte. Aus praktischen Erfahrungen mit dem Frischlingsfang in Rheinland-Pfalz ist bekannt, dass diese Thesen nicht haltbar sind und auch der Einsatz von Saufängen im Nationalpark Bayerischer Wald, mit etwa 700 getöteten Wildschweinen, zeigt, dass diese Maßnahme durchaus tierschutzkonform angewendet werden kann.

Auswirkungen überhöhter Rehwildbestände auf das Waldökosystem

Der zweite Teil der Veranstaltung befasste sich mit den schädlichen Einflüssen überhöhter Schalenwilddichten auf das Waldökosystem. Der Referent Dr. Georg Meister erläuterte die Zusammenhänge anhand zahlreicher Zeitsprungbilder, die die Entwicklung der Waldverjüngung unter verschiedenen Voraussetzungen anschaulich machten. Dr. Meister ließ keinen Zweifel daran, dass die Probleme, die seine Bilder eindeutig dokumentierten, auf überhöhte Schalenwildbestände zurückzuführen sind. Ein gesunder, zukunftsfähiger Wald werde den eigennützigen Wünschen vieler Privatjäger geopfert, die sich größtenteils immer noch an überholten Hegeideologien orientierten und kein Interesse daran hätten, die Wildbestände aus ökologisch wie ökonomisch sinnvollen Gründen zu reduzieren.  Für die Motive, aus denen viele Freizeitjäger zur Jagd gehen, so zum Beispiel die Flucht vor der Hektik des Alltags, der Naturgenuss oder die Jagdpassion, zeigte Dr. Meister durchaus Verständnis. Diese stünden jedoch nicht zwangsläufig im Widerspruch zu den berechtigten gesellschaftlichen Forderungen an die Jagd. Allerdings sei bei vielen Jägern zuerst ein Umdenken und zwar in theoretischer wie auch praktischer Hinsicht dringend erforderlich. Es sei inakzeptabel, dass eine Lösung des Problems am Nicht-Wollen beziehungsweise Nicht-Können der Jäger scheiterte. Daher brauche man handwerklich versierte Jäger, die sich für die ökologischen Zusammenhänge interessierten, die den Blick für das Ganze hätten und den Wald nicht einseitig, sozusagen als Kulisse für ihre Jagdfreuden, betrachteten.

Auch zu dieser Thematik meldete sich ein ranghoher Funktionär der Kreisjägervereinigung zu Wort und erklärte dem Referenten im Blick auf die Zeitsprungbilder, auf denen innerhalb eines Zaunes üppigste Naturverjüngung und außerhalb nur Gras zu sehen war, dass es in Tuttlingen „nicht so schlecht aussähe“. In der Tat verjüngen sich Fichte und Buche in der Region  größtenteils ohne Schutzmaßnahmen. Dass jedoch  andere  verbissempfindliche Arten, wie die Weißtanne oder der Bergahorn, beinahe flächendeckend, trotz  vorhandener Samenbäume, nicht aufwachsen können, wird an dieser Stelle vollkommen ausgeblendet, frei nach dem Motto: „Schaut hin, da wächst doch was!“. Was genau, interessiert dabei nicht – Ein grüner Wald eben. Dr. Meister wunderte sich an dieser Stelle sehr darüber, dass im Saal, der übrigens mit völlig verbissenen ca. 30jährigen 1m hohen Tannen geschmückt war, keine lebhafte Diskussion in Gang kam. Nach der Veranstaltung verlieh er seiner Enttäuschung Ausdruck und beklagte, dass weder die anwesende Dezernentin noch die  Forstbeamten des stark vertretenen Kreisforstamtes auf die Äußerung des Hegeringleiters reagiert hätten und diese völlig unkommentiert geblieben sei, und dies trotz der Forstlichen Gutachten, die seit über zwei Jahrzehnten die großen Probleme im Landkreis dokumentierten. Obwohl  Herrn Dr. Meister solche Situationen in seinem langen Kampf um gesunde Mischwälder durchaus häufiger begegnet sein dürften, ist die Enttäuschung des Referenten vor dem Hintergrund, dass es heute keine Pensionshirsche mehr gibt, die Probleme von allen gesehen werden und bundesweit Bewegung in die Jagdgesetzgebung kommt, durchaus nachvollziehbar, zumal er bereits im Jahre 1954 und später – Anfang der 80er Jahre – leitende Forstleute in Baden-Württemberg kennengelernt habe, für die naturnahe Wälder den Vorrang vor überholten Hegeideologien gehabt hätten. Für Dr. Meister habe Baden-Württemberg schon immer eine Vorreiterrolle in Bezug auf eine waldfreundliche Jagd gespielt, was er in seinen bisherigen Veröffentlichungen deutlich zum Ausdruck brachte.

So wenig also in der Diskussion von betroffener Seite  eine Stellungnahme erfolgte, so genau und messerscharf wurde das „eigentliche Problem“ seitens der Vertreter der Kreisjägervereinigung analysiert. Die als Ergebnis dieser Analyse entwickelte These ist denkbar einfach und bereits in ähnlicher Weise standardisiert wie der Verweis auf die üppige Fichtennaturverjüngung (s.o.): „Man hat es uns Jägern einfach nicht gut genug erklärt“. Der Verfasser fragt sich an dieser Stelle, wie viele Waldbegehungen noch nötig sein werden, um zu verstehen, warum die Weißtanne flächig von der Fichte überwachsen wird. Vom staatlich anerkannten Naturschützer müsste man erwarten können, dass er sich für solche Zusammenhänge interessiert. Vielleicht ist man aber zu optimistisch, wenn man meint, dass ein „kompetenter Ansprechpartner in allen Fragen um Wald, Wild und Natur“ neben seinen zeitraubenden, substantiellen Diskussionen über Waffenhersteller, Kaliber, Laborierungen, Lebenskeiler etc.  noch viel Zeit fände, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, besonders dann, wenn die Antwort doch auf der Hand liegt: In erster Linie wird die Weißtannenverjüngung nämlich durch eine unsachgemäße Durchforstung verhindert. Wann endlich werden all die diplomierten Forstwissenschaftler, Waldökologen und Waldbauprofessoren sich vom Hobbyjäger erklären lassen, wie Waldbau funktioniert? Immerhin war man an dieser Stelle um Klarstellung bemüht und ein Vertreter der Forstwirtschaft wies den Vorwurf zurück, indem er erklärte, dass man diesbezüglich im jahrelangen, jedoch leider auch oftmals fruchtlosen Dialog gestanden habe.

 

Durchweg positive Resonanz

Insgesamt war es eine sehr  gelungene Veranstaltung und ein vielversprechender Auftakt für die neue Regionalgruppe. Die Probleme wurden, in einer für die Region bisher ungewohnten Weise, öffentlich thematisiert und tiefgehend beleuchtet.  In den Pausen fanden angeregte Gespräche statt und es haben uns seitdem zahlreiche positive Rückmeldungen erreicht. Weitere Veranstaltungen und Aktivitäten befinden sich in Planung und alle Jägerinnen und Jäger, Waldbesitzer, Landwirte und Naturfreunde aus der Region sind herzlich eingeladen, diese Angebote zu nutzen oder sich an der Arbeit der Regionalgruppe zu beteiligen. Für nähere Informationen steht Herr Ulrich Zepf  (zepf@oejv.de) Vorsitzender der Regionalgruppe Baar – Obere Donau – Bodensee, gerne zur Verfügung.

Michael Hager (Tuttlingen) für die Regionalgruppe

 

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